Erinnerungen

Die folgende Geschichte entstand zum Andenken an eine sehr wichtige Person in meinem Leben und soll ein bisschen von den Ereignissen und vor allem von meinen Gefühlen erzählen, die ich in der kurzen Zeit kennen gelernt habe.
Ich streunte schon eine Weile davor durch Calw, eine kleinen Stadt im Schwarzwald, von Menschen hatte ich einfach genug, seit meine letzte Familie mich hier zurückgelassen hatte. So schlug ich mich eben alleine durch, was nach einer Weile kein Problem war, in den Mülltonnen von Geschäften und Restaurants fand ich immer etwas zu fressen. Eines Tages als ich mich über ein paar Abfälle hermachte nahm ich dieses, doch etwas eigenartiges, Menschenweibchen das erste mal richtig war. Jedenfalls wühlte sie in meinen Mülltonnen herum, was meine Aufmerksamkeit erregte. Doch es war ja genug da und so ließ ich sie, mit den Pizzaresten, die sie schließlich herausgezogen hat, ziehen. In den Nächsten Tagen stieg mir ihr Duft immer öfter in die Nase. Einmal sah ich sie auf der Brüstung der Brücke bei der Statue von diesem Herbert Hesse – oder so, der den Marktbrunnen gebaut hat, glaube ich – sitzen und ein warmes Würstchen essen. Ich dachte nicht lange nach und trotte auf sie zu, in der Hoffnung, dass sie auch ihr Futter mit mir teilen würde, wie ich meines. Nun was soll ich sagen, ich sollte Recht behalten und sie gab mir wirklich was ab. Sie brach mir immer wieder ein paar kleine Brocken ab, puste ein paar mal darauf, damit ich mir nicht meine Schnauze verbrannte und legte sie mir vor meine Pfoten. Während ich auf das nächste Stückchen sehnsüchtig warte musterte ich sie von oben bis unten. Ihr ursprünglich helles Kopffell war an manchen Stellen schwarz und auch rot, ihre Kleider sahen auch mehr nach Fetzen aus, als das was ich von Menschen sonst kenne. Die vermeintliche Lösung dafür habe ich auch schnell entdeckt, denn in ihrer Schnauze und ihrer Nase war Metall zu erkennen. „Sie muss an Stacheldraht hängen geblieben sein“, dachte ich bei mir und schlang die letzten Stücke Wurst hinunter. „Tut mir Leid Hundchen das war’s. Mehr hab ich leider nicht.“ Sie hatte eine etwas rauchige, kratzige Stimme, doch das wunderte mich nicht, den das war auch der dominante Geruch bei ihr: Zigarettenrauch.

Sie wollte mich zur Entschuldigung streicheln, doch ich zog schnell meinen Kopf zur Seite, denn ich mag es eigentlich nicht so gerne, angefasst zu werden. Sie lies ihren Arm sinken und zog ihre Ärmel über ihre Hände. Auch ich merkte mit der Zeit das es immer kälter wurde, es wurde langsam Winter.
Ein paar Tage später sah ich sie zufällig im Park auf einer Parkbank sitzen und ich merkte schnell, dass sie etwas bedrückte. Erst als ich direkt neben ihr war bemerkte sie mich und wir sahen uns eine Weile wortlos an, bis sie auf einmal weiter schluchzte. Sie tat mir Leid und ich legte meinen Kopf etwas schief und stupste mit meiner Schnauze gegen ihre Hose. Als sie mich noch immer nicht beachtete, legte ich meinen Kopf auf ihre Beine und versuchte ihr etwas Mut zu machen. Ich ließ mich auch von ihr hinter den Ohren kraulen. Mit der Zeit beruhigte sie sich wieder und erzählte mir von ihren Sorgen. Vor ihren Problemen, die sie früher Zu hause hatte, wie sie abgehauen ist und den Problemen hier auf der Straße, die ich mindestens genau so gut kannte wie sie. Aber vor allem erzählte sie von einer Freundin von ihr, die sich erst vor kurzem Umgebracht hat. Sie tat mir unheimlich Leid und ich tröste sie so gut ich konnte.

Ab diesem Zeitpunkt verbrachten wir immer mehr Zeit miteinander. Wir teilen unser Futter und auch bald unseren Schlafplatz in einem Tunnel, in dem vor vielen Jahren mal ein Zug gefahren sein muss.

Wir waren ein super Team fand ich. Wir konnten zusammen mehr Geld von den Menschen sammeln, was besseres Futter zur Folge hatten und in den Kalten Nächten wärmten wir uns gegenseitig. Und was mir persönlich sehr wichtig war, meinem „Frauchen“ Talia, schien meine Nähe sehr zu helfen. Sie wirkte viel Glücklicher und wenn sie mich kraulte schienen ihre ganzen Sorgen zu vergehen. Und mir zeigte sie, dass Menschen auch nett sein konnten. Die Zeit mit ihr wurde zu der schönsten meines bisherigen Hundelebens. Ich fühlte mich unheimlich wohl und geborgen bei ihr, ganz anders als bei meinem alten Menschenrudel. Wir spielten viel zusammen und tollten herum. Ich wollte ihr auch mein Lieblingsspiel „Entenfangen“ beibringen, aber sie wollte nicht. Ich glaube, Menschen sind dafür auch nicht geschaffen. Aber sie sah sehr gerne zu. Sie hat dabei sogar immer gelacht und sich gefreut.
So langsam wurde die Stadt immer hektischer. Die Menschen strömten nur so von einem Geschäft in das andere und die Straßen wurden Nachts von vielen hellen Lichtern erleuchtet, in allen Möglichen Formen und Farben. Es war ein umwerfend schöner Anblick. Talia und ich blieben jetzt länger in der Stadt als sonst und bewunderten die vielen schönen Lichter. Auch von zu hause aus hatten wir einen tollen Blick über die Lichter der Stadt. Wir saßen oft noch lange da, kuschelten und betrachten die Lichter auf der Erde und am Himmel, manchmal auch bis zum Morgengrauen, wenn es Talia nicht so gut ging, was in diesen Tagen öfter der Fall war. Eines Abends ging sie mit mir über den Marktplatz zu Kirche und sie setzte sich auf eine Bank in der Nähe der Tür. Drinnen konnte man die Menschen singen hören. Talia tätschelte mir die ganze Zeit Gedankenverloren den Kopf und sang leise mit. Ich glaube, sie hat sogar ein bisschen dabei geweint. Als die Glocken der Kirche plötzlich zu hören waren, zuckte ich kurz, wegen der lauten Geräusche zusammen. Als die Menschen anfingen sich durch die Tür ins Freie zu zwängen bummelten wir langsam auch Richtung Schlafplatz, den wir uns zwischenzeitlich ganz gemütlich eingerichtet hatten. Von dem Geld hat Talia für uns ein paar Decken gekauft und sie selbst sah auch schon mehr nach einem der anderen Menschen aus. Nur ihr verfärbtes Fell wollte sie wohl behalten. Zumindest lies sie es mich nicht sauber lecken, nur ihre Wangen. Als wir Zuhause waren fraßen wir erst etwas, es war sogar für unsere Verhältnisse ein richtiges Festmahl. Nachdem sie auch endlich mit ihrem Futter fertig war und ich mich an sie schmiegen wollte, hielt sie mich zuerst etwas zurück und zog ein großes rot kariertes Halstuch aus ihrer Jackentasche, dass sie mir gleich um den Hals band. Dann zog sie noch eines hervor und band es um ihren Hals. Sie erklärte, dass das ein Zeichen sein soll, dass wir zusammengehören und mit diesen Worten drückte sie mir ihre Lippen auf meine Schnauze und verbrachte dann ein paar Augenblicke damit die Hundehaare aus ihrem Mund zu entfernen. Ich war ziemlich platt und wusste erst gar nicht was ich machen sollte, andererseits habe ich schon so oft über ihre Wange geschleckt. Wir lagen noch lange einfach so da, bis sie und schließlich auch ich friedlich eingeschlafen sind.

Eine Woche später feierten die Menschen den beginn des neuen Jahres. Talia und ich schauten aus sicherer Entfernung zu, wie die anderen Menschen diese tollen Bilder an den Nachthimmel zauberten. Eigentlich ein schönes Schauspiel, wenn da nicht dieser Krach wäre, das einzige daran, was mich unheimlich stört und mich auch ziemlich durcheinander gebracht hat. Talia hatte ihre liebe Mühe mich ruhig zu halten. Aber alles in allem war es ganz ok. Als wieder Ruhe eingekehrte erzählte sie mir von ihrem letzten Jahr und was alles dieses Jahr vor hatte. Auch ich dachte über das an sich schlechte letzte Jahr nach, was durch Talia doch ganz gut wurde und freute mich schon auf das tolle nächste Jahr und viele glückliche Tage an ihrer Seite. Ich hatte mich Verliebt – und noch dazu in ein Menschenweibchen.

Die nächsten Wochen waren sehr schön, bis zum 20. Januar. Talia war anders als sonst, zumindest nachdem sie was gefressen hat und mir nichts von ihrem Nachtisch abgeben wollte. Sah aber auch nicht so besonders aus, nur lauter kleine Krümel oder so was. Sie wurde danach immer müder. Sie war an dem Abend mit ihren Nerven am ende. Sie hat mir allerdings nicht viel davon erzählt. Aber immerhin war ich bei ihr und sie schien sich wie schon so oft wieder zu beruhigen. Ich war fast eingeschlafen, als sie wieder ein bisschen angefangen hat zu weinen und sich entschuldigt hat, was ich aber gar nicht mehr richtig mitbekommen habe.

Am nächsten Morgen bin ich noch in ihren Armen aufgewacht und ihre Hand lag noch immer auf meiner Flanke. Ich wollte sie vorsichtig aufwecken, aber sie reagierte nicht. Nicht mal mit lautem bellen war sie nicht wach zu bekommen. Ich bekam unheimlich Angst und hetzte in die Stadt, um Hilfe zu holen. Aber es war zu spät….

Die nächsten Tage verbrachte ich vor dem Krankenhaus bis sie schließlich einen Platz auf dem Friedhof bekam, der mein neuer Schlafplatz wurde und ich auch sonst viel Zeit dort verbrachte, ihr Blumen aufs Grab legte und mich einfach so gut ich eben konnte, mich darum kümmerte. Wie es mir seither ging… Nun, mein Leben hat sich geändert – ich habe mich geändert. Ich gehe Menschen mehr aus dem Weg als sonst. Direkt nach diesem Erlebnis hab ich kaum gefressen oder geschlafen – ich konnte einfach nicht.
Jetzt geht es mir wieder soweit gut. Ich denke es stimmt ein bisschen, was die Menschen sagen, dass die Zeit Wunden heilen. Aber nur an der Oberfläche. Innen dauert es zumindest viel länger, wenn es überhaupt jemals ganz heilen wird. Aber ich versuche der Zukunft positiv entgegenzutreten, auf meinem Streifzug durch Calw.